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Nachruf auf Prof. Dr. Ursula Nienhaus

In eigener Sache

Ursula Nienhaus

* 21. Dezember 1946, Haldern/Rees
† 17. April 2020, Berlin

 

Unser tief empfundenes Beileid gilt ihren Angehörigen, Freund*innen und Weggefährt*innen.

Als Mitgründerin und langjährige Leiterin des FFBIZ Archivs baute sie eine der größten Sammlungen zur Frauenbewegung seit Anfang der 1970er Jahre auf. Dabei verlor sie nie ihre Leidenschaft für die Wissenschaft aus den Augen. Ihr umfangreiches historisches Wissen an Studierende zu vermitteln, war ihr immer ein großes Anliegen. Deshalb hielt sie, neben ihrer Tätigkeit als Privatdozentin für Neue Geschichte an der Universität Hannover, Seminare und Vorträge an den Berliner Hochschulen und begeisterte überall Studierende für die Arbeit mit historischen Quellen im Archiv.

Nach ihrem Rückzug aus dem Berufsleben im Jahr 2011 stand sie dem FFBIZ als Vorstandsfrau und später als Vereinsmitglied immer mit Rat und Tat zur Seite. Wir danken ihr für ihr unermüdliches feministisches Engagement.

Das Team des FFBIZ-Archivs

Ursula Nienhaus sitzt lächelnd vor einem Regal mit Büchern
Foto: FFBIZ-Archiv

Nachruf

Wir verlieren mit Ursula Nienhaus eine leidenschaftliche feministische Kämpferin.

Ursula Nienhaus wurde am 21. Dezember 1946 in Haldern/Rees als Tochter eines Arbeiters und einer Landarbeiterin und Hausfrau geboren. Nach dem Besuch der Volksschule wechselte sie trotz Widerstreben ihrer Eltern auf das Gymnasium einer Klosterschule in Aspel/Haldern, wo Nonnen sie auf ihrem Bildungsweg förderten. In den Ferien arbeitete die junge Frau in einer Fabrik, um ihre Eltern finanziell zu unterstützen.

Nach dem Abitur studierte Ursula mit einem Stipendium des Cusanuswerks Deutsch, Geschichte, Pädagogik und Philosophie in Köln, Bonn und Tübingen. In Tübingen kam sie mit der aufkeimenden Studentenbewegung in Kontakt und trat dort dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund bei. Dort lernte sie zudem die Bibliothekarin Helga Lüdtke und ihren Ehemann, den Historiker Alf Lüdtke (1943-2019) kennen, mit denen sie lebenslang befreundet bleiben sollte. Die Begegnung mit dem Ehepaar Lüdtke und etwas Zufall brachten Ursula an das Osteuropa-Institut der Uni Tübingen, wo sie ihr Interesse an russischer Geschichte entdeckte. Mit einer Arbeit über Michael Bakunin schloss sie 1972 ihr erstes Staatsexamen ab.

Ab 1972 studierte Ursula ein Jahr lang mit einem Stipendium an der Stanford University in Kalifornien. Wie prägend diese Zeit war, hat sie auch viele Jahre später gern erzählt, etwa in einem Oral History Interview, das wir 2014 mit ihr geführt haben. Neben der Studierendenbewegung erinnerte sie die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung besonders eindrücklich. Nach ihrer Rückkehr begann Ursula in Tübingen ein Aufbaustudium in Russisch und Soziologie. 1976 schloss sie dieses mit ihrer Dissertation „Revolution und Bürokratie, Staatsverwaltung und Staatskontrolle in Sowjetrussland 1917–1924“ ab.

Nach ihrer Promotion zog Ursula nach Berlin, um eine Stelle an der TU Berlin anzutreten. Bis 1979 arbeitete sie dort als wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich 1, Fachgebiet Neuere Geschichte. In derselben Zeit knüpfte sie erste Kontakte zur Frauenbewegung. Sie besuchte 1976 die erste Frauensommeruniversität in Berlin, nahm ein Jahr später an der ersten Berliner Konferenz der traditionellen Frauenverbände und autonomen Frauengruppen teil und engagierte sich im Frauenzentrum in der Hornstraße in Berlin-Kreuzberg. Eine der Gruppen, die Ursula in der Zeit mitgründete, beschäftigte sich mit der Analyse bezahlter und unbezahlter Arbeit von Frauen. 1978 gründete Ursula zusammen mit Barbara Duden, Gisela Bock, Claudia Bernadoni und vielen anderen Frauen das Frauenforschungs-, -bildungs-, und -informationszentrum (FFBIZ). Bereits ein Jahr später verfügte das Zentrum über eigene Räumlichkeiten.

Im FFBIZ war Ursula bis zu ihrem Renteneintritt als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ab 1995 als Archivleiterin mit wissenschaftlicher Frauenforschung, Bildungsveranstaltungen und der Archivierung von Sammlungen und Nachlässen beschäftigt. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen, darunter Hilde Radusch, Sabine Spiesmacher, Ilse Wolter, Barbara Martin, Irene Stoehr, Gisela Vollradt, Brigitte Pittelkau, Ingrid Stuchlik, Gabriele Wohlauf und vielen anderen baute sie die umfangreichste Sammlung zur Neuen Frauenbewegung seit Anfang der 1970er Jahre auf. Bewegungsgeschichte ist auch immer Konfliktgeschichte. Ursula scheute keine fachliche Auseinandersetzung und keine Diskussion – auch nicht mit ihren Mitstreiterinnen. So gab es in über 40 Jahren auch im FFBIZ viele, mitunter heftige Auseinandersetzungen und persönliche Brüche. Dass Ursula heute von zahllosen Zeitgenossinnen teilweise kritisch, aber immer mit größtem Respekt erinnert wird, spricht für sich.

Auch neben ihrer Arbeit im FFBIZ war Ursula der Erwachsenenbildung und der Geschichtswissenschaft verschrieben. Sie unterrichtete von 1982 bis 1983 Gesellschaftslehre und Deutsch an der Schule für Erwachsenenbildung (SfE) im Berliner Mehringhof. Von 1986 bis 1987 beschäftigte sie sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesarchiv Berlin mit der Erschließung von Nachlässen. Von 1987 bis 1998 arbeitete sie als Wissenschaftlerin an der TU Berlin im Forschungsprojekt „Frauen und Wohlfahrtsstaat“. Es folgten Gastprofessuren, etwa an der FU Berlin, der Universität Innsbruck und der Humboldt-Universität Berlin. Ab 1994 lehrte sie als Privatdozentin für neue Geschichte/ Gender Studies am Historischen Seminar der Universität Hannover. Parallel dazu veröffentlichte Ursula Bücher und zahlreiche Schriften zu ihren zentralen Themen, der Geschichte der Sowjetunion und der Geschichte der Frauenerwerbsarbeit bei der Deutschen Post und der Polizei. 1994 erschien Ursulas Habilitationsschrift „Vater Staat und seine Gehilfinnen: Die Deutsche Post im Spannungsfeld von Sozialpolitik und Betriebskalkül. Eine Fallstudie am Beispiel weiblicher Beschäftigten 1864-1945“. Eine ordentliche Berufung als Professorin war ihr nicht vergönnt. War Ursula für die deutsche Geschichtswissenschaft vielleicht zu feministisch, zu unorthodox, zu widerspenstig? Im Jahr 2000 verlieh die Universität Hannover ihr immerhin den Titel als außerplanmäßige Professorin.

Auch Ursulas ehrenamtliche Tätigkeiten gingen weit über viele unbezahlte Stunden für das FFBIZ hinaus. 1994 gehörte sie zu den Mitgründerinnen des SI-Club Berlin-Mitte Soroptimist International Deutschland, einem Verein berufstätiger Frauen mit gesellschaftspolitischem Engagement.

Mit ihrer Berentung im Jahr 2011 übergab Ursula die Projektleitung des FFBIZ an Roman Klarfeld. Sie blieb dem Verein aber als Vorstandsfrau und später als Vereinsmitglied verbunden.

Ursulas Leidenschaft galt der Wissensvermittlung. Ob Studierende in ihren Seminaren, Archivnutzer*innen oder Praktikant*innen, sie versuchte sie alle für historische Forschung, insbesondere die Frauenforschung und Archivrecherche zu begeistern. 2014 ehrte die Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kalayci, Ursula Nienhaus mit dem Verdienstkreuz am Bande für ihr jahrzehntelanges Engagement in der Frauenforschung und ihre Arbeit im FFBIZ.

Ursula Nienhaus verstarb am 17. April 2020 in Berlin.

Wir vermissen ihre Energie und ihren kritischen Geist. 

Für den Vorstand und das Team: Prof. Dr. Sabine Hark, Francesca Schmidt, Dagmar Nöldge, Roman Klarfeld, Friederike Mehl (April 2020)

Beiträge von Weggefährt*​innen und Freund*​innen

Karin Hausen

Ursula Nienhaus
(21.12.1946–17.4. 2020)

Erinnern und Erinnerungen

Ursula Nienhaus hatte seit ihrem Abitur bereits viele Orte bewohnt, Ausbildungsetappen zurückgelegt, Freundschaften geschlossen, bevor sie gleich nach ihrer Promotion am Tübinger Osteuropa-Institut, auf Wunsch von Reinhard Rürup 1976 als Wissenschaftliche Assistentin an das Institut für Geschichtswissenschaft der TU Berlin kam. Dort lernte ich sie kennen, als ich im März 1978 ebenfalls dort anlandete als neu gekürte und in dieser Position noch unsichere Professorin. Ich war sehr froh, dass es im Institut diese kluge Historikerin gab. Sie sprühte vor Energie, sie war umtriebig, hellwach, interessiert, aktiv, fordernd, kritisch. Manchmal beneidete ich sie, dass sie - anders als ich mit Familie - frei über ihre Zeit verfügen konnte.  Diese gute Zeit des beruflichen Miteinander fand ein abruptes Ende. Sie ließ die nach drei Jahren mögliche Verlängerung ihres Arbeitsvertrages um weitere zwei Jahre stillschweigend verstreichen und verabschiedet sich von der Universität.

Von nun an widmete sich Ursula Nienhaus mit allen ihren Fähigkeiten und zäher Ausdauer der autonomen Frauenbewegung und insbesondere dem 1978 gegründeten FFBIZ, während ich als professorale Institutionenfrau versuchte, historische Frauenforschung als wissenschaftliche Innovation zu fördern und den Anspruch von Wissenschaftlerinnen auf gleichberechtigte Berufschancen in Wissenschaften und Universitäten zu stärken. Unsere Berufswege trennten sich 1978, aber unsere wechselseitige Wertschätzung blieb ebenso erhalten wie unser Kontakt und Austausch von Informationen, Ideen, Wünschen. Wenn es die knappe Zeit zuließ, besuchte Ursula Nienhaus weiter unsere TU-Forschungscolloquien, und ich besuchte und unterstützte mit Vergnügen das wachsende, Krisen überlebende FFBIZ. Zusammen mit vielen Frauen widmeten wir uns in den 1980er Jahren dem allmählich entwickelten und schließlich mit Erfolg etablierten Vorhaben, das vom Berliner Senat finanzierte und von 1988 bis 1999 segensreiche Förderprogramm Frauenforschung einzurichten. Mit dessen Organisation und Förderpraxis gelang ein Brückenschlag zwischen autonomen Bewegungen und staatlichen Institutionen, und insofern war es wichtig, dass von 1988 bis 1991 auch Ursula Nienhaus zu den ehrenamtlichen Mitgliedern der Förderkommission gehörte, in der wir zusammen über die Auswahl der zu fördernden Anträge entschieden.

Ursula Nienhaus ging mit uneingeschränkter Einsatzbereitschaft und Verlässlichkeit zu Werke, wann und wo immer es etwas frauenbewegt Wichtiges zu tun gab. Die Voraussetzung dafür waren ihre geringen Ansprüche für den eigenen Lebensunterhalt. In einem von Gabriele Goettle geführten, 2004 in der taz veröffentlichten Interview sagte Ursula Nienhaus über die anfängliche Finanzierung des FFBIZ: „die Frauen haben ihr eigenes Geld reingegeben, auch ich, es gab Jahre, wo ich bis auf Miete und Nahrung alles Geld, was ich verdiente habe, hergab, um das FFBIZ zu retten… Frauen wie ich, die viel und ohne ökonomische Rücksichtnahme sozusagen gearbeitet haben, dürfen sich auf ein paar hundert Euro Rentenanspruch einstellen.“ Für ihren Gelderwerb arbeitete sie 1982 und 1983 als Lehrerin in der 1973 gegründeten autonomen Schule für Erwachsenenbildung, dann im Landesarchiv Berlin, später in einem Forschungsprojekt, bevor sie 1991 die gering bezahlte FFBIZ-Stelle übernahm. Ihre partielle Rückkehr an die Universität eröffnete ihr neue Möglichkeiten. 1993 wurde sie an der Universität Hannover habilitiert mit ihrer Studie über weibliche Angestellte bei der Reichspost, die 1995 als Buch erschien. Als Privatdozentin war sie zwar verpflichtet, ohne Entgelt und Kostenerstattung in Hannover zu lehren, aber mit der Habilitation und später als apl. Professorin wurde sie nun häufiger von Universitäten eingeladen zu Vorträgen und Gastprofessuren, was ihr außer Geld auch das Vergnügen einbrachte, als Lehrende ihr Wissen weiterzugeben.

Sehr anspruchsvoll war Ursula Nienhaus, wenn es um Wissenschaft und um sie als Historikerin ging. Das gilt für ihr Sammeln und Archivieren der FFBIZ Bestände zur Frauenbewegung ebenso wie für ihre eigenen Forschungen und Veröffentlichungen. Publizierte Schnellschüsse, inhaltsleeres Geschwätz, Vielfachverwertungen sind für sie tabu. Bei ihrer andauernd präsenten Bewegtheit in den Varianten feministischer Bewegungen des In- und Auslandes ist es für mich ein Wunder, sie zugleich mit ihren Aufsätzen und sechs Büchern als äußerst konzentriert arbeitende Historikerin zu sehen. Vielleicht war es für die rastlos und vielseitig Engagierte eine Erholung, von Zeit zu Zeit den verflossenen Geschichten der Vergangenheit konzentrierte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie selbst lernte aus der Geschichte und es war ihr ein Anliegen und entsprach ihrem missionarischen Eifer, das Erforschte und Gelernte zu veröffentlichen und mitzuteilen. Ihr großes Thema ist die Geschichte der Frauenarbeit im 19./20. Jahrhundert und hier wiederum speziell die Geschichte der weiblichen Angestellten nicht nur als Berufsgruppe, sondern auch mit ihren unterschiedlichen Arbeitsorten und Arbeitgebern in den Büros, bei der deutschen Post und bei der Polizei. Sie wagt sich heran an die unerreichbare „histoire totale“, um möglichst viele Kontexte des Arbeitens auszuleuchten, mit denen Frauen als Angestellte je einzeln und als Berufsgruppe aktiv und passiv zu tun hatten. Sie fügt gerne Vergleiche mit jeweils früheren und späteren Entwicklungen, mit anderen Ländern oder Berufsfeldern ein, sie schärft die Aufmerksamkeit für Besonderes und Allgemeines, verweist auf Verbindungen zur Gegenwart und urteilt scharfsinnig. Vor allem aber gelingt es ihr, die forschend aufgerufene Komplexität der Verhältnisse und des Handelns in ihren Veröffentlichungen so übersichtlich zu ordnen, dass ihre Texte für Lesende nachvollziehbar sind.

Es ist gut, häufiger an Ursula Nienhaus zu denken.

Claudia Bernardoni

Ursula Nienhaus hat als Historikerin nicht nur zu Geschichtsthemen geforscht und gearbeitet, sondern sie hat in der Institution FFBIZ gemeinsam mit Kolleginnen in der Praxis Geschichte gemacht und durch das Archiv ein Gefäß für die Geschichte der Frauenbewegung geschaffen. Als viele von uns, sowohl die Idealistinnen der ersten Stunde als auch die Mitarbeiterinnen in den bescheidenen Blütenjahren danach das FFBIZ vielleicht noch aus der Distanz mit Wohlwollen und Spenden unterstützten, hat sie mit großem Engagement für das Überleben des FFBIZ und der wertvollen Bibliothek gesorgt. Sie war nie eine Halbherzige, sie war eine Kämpferin, voller Elan, Sachkunde und Optimismus, die nicht aufgab und am Ende eigentlich immer gewann.

Anja Baumhoff

Ursel lernte ich im historischen Seminar der Technischen Universität Berlin kennen, wo sie am Lehrstuhl von Reinhard Rührup und Karin Hausen oft anzutreffen war. Karin Hausen war damals die bekannteste Professorin in der deutschen Hochschullandschaft, die zu Frauenthemen forschte. Das hatte sich bis in die USA herumgesprochen, von wo ich damals angereist kam. Es war das Jahr 1989 und ich war drei Monate vor Öffnung der Mauer in Berlin eingetroffen, um die Archivarbeiten für meine Promotion zu beginnen. Schnell fand ich eine neue Heimat im historischen Seminar der TU. Ursel konnte man dort weder übersehen noch überhören. Wenn sie in Erscheinung trat, hatte sie meistens was zu sagen. Sie war dominant im Auftreten und immer für eine Auseinandersetzung gut - gerne auch mit den Professoren. Es dauerte eine Weile, bis ich die Person hinter diesem kämpferischen Habitus etwas näher kennenlernte. Damals war sie bereits promoviert. Dabei fiel mir auf, dass ihr Umgang mit Karin Hausen anders war, als der von uns Doktoranden. Vertrauter. Zugleich vermittelte sich mir das Bild einer unendlich fleißigen Akademikerin. Ursel war ein Workaholic. Ungewöhnlich war dies eigentlich nur, weil sie das mit einem Engagement für die Frauenbewegung kombinierte. Die Gründung des FFBIZ Archivs war für sie der Weg, einerseits zu forschen und sich andererseits feministisch zu engagieren.

Karin Hausen war damals sehr darum bemüht, die Frauengeschichte in der historischen Zunft zu etablieren. Doch die männlichen Historiker wehrten sich massiv dagegen mit dem Argument, als engagierte Feministinnen wären wir Historikerinnen befangen und deshalb nicht mehr in der Lage, unserem Forschungsobjekt objektiv gegenüber zu treten. Karin grenzte sich u.a. deshalb von der Frauenbewegung deutlich ab. Da für mich die Arbeit am Thema Frauen und gender aber ebenfalls eine Fortsetzung meines frühen feministischen Engagements war, und damit eine Form von Praxis, verstand ich Karin zwar, habe ihre Haltung aber immer bedauert. Hintertüren, Brücken, Kompromisse schien es da nicht zu geben. Zu stark waren die Anfeindungen. Ursel hatte aber im FFBIZ diese Brücke für sich gefunden. 

Das Band, dass ich zwischen Ursel Nienhaus und Karin Hausen spürte, setzte sich im FFBIZ fort. Karin Hausen hat sich lange für das Archiv engagiert und so die Gründung, wie die ebenso mühsamen Jahre des Aufbaus, mitgeprägt. Zwischen den beiden Frauen nahm ich mit der Zeit wachsende Verbundenheit wahr. Ursel musste man einfach respektieren. Dieser enorme Fleiß, diese Einstellung von Ich mach‘ keine halben Sachen, der Wille oder die Manie immer alles verbessern zu müssen, haben sie bis zuletzt ausgezeichnet. Dabei war sie zeitlebens eine unbequeme Person, die anderen, aber auch sich selbst, das Leben nicht einfach machte. Heute bin ich wieder Mitglied im FFBIZ, weil Ursel mich irgendwann einmal persönlich ansprach und mich wieder zurückgeholt hat. Da war das Archiv bereits in der Eldenaer Straße. Der enormen Durchsetzungskraft von Ursel Nienhaus, zusammen mit dem Team des frühen FFBIZ, ist dieses bleibende Vermächtnis in Form eines feministischen Archivs gelungen, über dessen Existenz ich heute sehr froh bin. Damals jedoch, schien mir Ursels Versuch zwei anspruchsvolle Dinge gleichzeitig zu machen, wie ein Kamikaze-Unternehmen. Neben der Habilitation noch ein Archiv aufzubauen schien mir angesichts der Schwierigkeiten als Frau in Deutschland überhaupt auf eine Professur zu kommen, überaus optimistisch. Aber Zweifel daran hat sie zumindest mir gegenüber nie durchblicken lassen. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie an einem tristen Berliner Winternachmittag in dem dunklen Archivraum in der Danckelmannstraße in Charlottenburg an ihrem Schreibtisch saß, alleine, eingehüllt in das Licht einer winzigen Leselampe. Der Lichtkegel am Ende eines langen Raumes signalisierte tiefste, konzentrierte Arbeit. Und ist mir als ein Bild in Erinnerung geblieben, dass zugleich die Atmosphäre von Einsamkeit und Freiheit wissenschaftlichen Arbeitens offenbart.

Helga Lüdtke

Anfang der 1970er Jahre habe ich Ula durch Alf Lüdtke kennengelernt. In diesen politisch turbulenten Zeiten an der Universität Tübingen gehörte sie zu einer studentischen Gruppe, die Seminare am Institut für osteuropäische Geschichte selbst organisierte. Damals war ich von ihrer Hingabe an die jeweilige Sache fasziniert, bewunderte ihr enormes Wissen, ihre Redegewandtheit, auch ihre Unbedingtheit, die sie nie verlieren würde. Sie wurde zu einer engen, vertrauten Freundin der Familie. 

Später, in Berlin, verfolgte ich, aus der Göttinger Ferne, manchmal auch vor Ort, ihre jeweiligen Projekte, die sie ins Leben rief oder an denen sie maßgeblich beteiligt war: Sommer-Universität, feministische Stadtrundgänge, die Gründung des ffbiz. Vor allem das ffbiz interessierte mich, – aus feministischer, aber auch aus der Sicht der Bibliothekarin. Ohne Ulas fortwährendes Interesse, ihre Unterstützung und Expertise würde es das Buch über die Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken nicht geben (Leidenschaft und Bildung. 1992). Als externes ffbiz-Mitglied, zeitweise auch als Vorstandsfrau habe ich Ulas permanente Kämpfe um Anerkennung, Finanzierung und Überleben des ffbiz, ihre eigene physische und psychische Verausgabung und schließlich fortwährende finanzielle Selbstausbeutung miterlebt, ohne sie davon auch nur ein wenig befreien zu können. Das war nicht leicht auszuhalten, auch für manche andere Mitstreiterin nicht.

Ich werde sie als zugewandte Freundin, mit ihrer zarten wie auch beharrlichen Seite, und als innovative Historikerin in Erinnerung behalten.

Göttingen 24. April 2020

Conny Wenzel

Ursula zum Abschied

Was hab ich mich mit dieser Frau gestritten. Das konnte sie gut: streiten um die richtige Strategie, die richtige Formulierung, den richtigen Weg im vielfältigen feministischen Alltag. Aber es ging ja schließlich auch um was, es galt die Geschichte der Frauenbewegung, unsere Geschichte, zu sichern, in unseren eigenen Archiven. Es ging um die Versuche, diese vielen unterschiedlichen Frauenarchive immer wieder in einen irgendwie gearteten Einklang zu bringen, letztlich gar in einen Dachverband. Einiges ist gelungen, ja, doch, mit Leidenschaft und Ausdauer haben wir manches in Bewegung und auf den Weg gebracht.

Und nun ist sie gegangen, als eine der ersten aus dieser Runde. Wenn es einen Himmel gäbe, einen feministischen gar – tröstlich wäre der Gedanke, wie sie den gerade aufmischt! Bye bye, Ursula.

Conny Wenzel (April, 2020)