Zum Hauptinhalt springen
Do + Fr
10–17 Uhr

nur nach Anmeldung!

Praktikumsbericht

  • Klara Kruse Rosset
In eigener Sache

Das zweimonatige Praktikum, das ich im Rahmen meines Geschichtsstudiums an der HU zu Berlin gemacht habe, war im feministischen Archiv FFBIZ e.V., ein kleines, vom Berliner Senat gefördertes Archiv der sogenannten Neuen Frauenbewegung. Ursprünglich das Sammlungszentrum des Lesbischen Aktionszentrums wurde es 1978 als Frauenforschungs-, -bildungs- und Informationszentrum gegründet und besteht bis heute als Verein. Es handelt sich also um ein alternatives Archiv, das auch Dokumente sammelte und sammelt, welche von staatlicher Seite nicht als archivgültig galten und ist somit auch anders aufgebaut als konventionelle Archive.

Es gibt zwei Mitarbeitende im Archiv, Dagmar Nöldge und Roman Klarfeld, und weil wir uns geduzt haben, werde ich sie im Folgenden mit Vornamen erwähnen. Beide haben mich während des Praktikums betreut und begleitet, mich auf Vernetzungstreffen und zu Besprechungen mitgenommen und meine vielen Fragen beantwortet.

Nach einer ausführlichen Führung im Magazin und der Erläuterung der Datenbank Faust konnte ich damit anfangen, alle Neuzugänge an Büchern aufzunehmen und einzuarbeiten. Durch das Erfassen der unterschiedlichen Veröffentlichungen lernte ich den Umgang mit der Datenbank noch besser kennen und bekam einen Überblick über die Breite der Sammlung in der Präsenzbibliothek des Archivs. Alle Bücher wurden außerdem verschlagwortet, eine Arbeit, die mir bis dahin unbekannt war. Erst wenn alle Exemplare eine in der Datenbank eingetragene Signatur und einen Aufkleber hatten, konnten sie in den Keller des Magazins gebracht werden und standen nun zur Nutzung zur Verfügung.

Nun sollte ich auch einen Neuzugang von Archivmaterialien einarbeiten und konnte mich entscheiden zwischen den diversen Nachlässen und Sammlungen, die zwar bereits zum Archiv gehören, aber noch nicht zugänglich waren. Ich entschied mich, zwei große Einkaufstüten voller Ordner und Objekte ins Büro zu tragen, welche zum Frauenzentrum Weimar gehörten. Das Frauenzentrum inklusive Frauenhaus wurde Anfang der 1990er Jahre gegründet und existiert noch heute. Zunächst einmal galt es, jegliches Material, das dem Papier schaden würde, zu entfernen, sprich alle Klammern und Tacker und Folien wegzuwerfen und die Dokumente in Archivmappen zu sammeln. Danach musste alles gesichtet und in einem Word Dokument beschrieben werden. In diesem Prozess begann auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Material, Dubletten wurden weggeworfen und eine grobe Ordnung geschaffen. Als die Liste vollständig war und ein Überblick geschaffen, konnte ich mich für eine Ordnung entscheiden, in welcher die Materialien schlussendlich archiviert und in die Datenbank eingearbeitet werden sollten. Hier hatte ich als Expertin des Materials die Entscheidungsfreiheit, thematische und formale Zuordnungen zu machen. Und wenn alle Mappen übereinstimmten, mussten diese noch chronologisch geordnet werden, bevor man sie in die Datenbank eingeben konnte. In dieser musste das Material mit einer passenden Signatur versetzt werden, es musste sich in die recherchierende Person hineinversetzt werden, um herauszufinden, mit welchen Begriffen nach diesem Bestand gesucht werden könnte, beziehungsweise bei welchen Forschungsthemen auch diese Materialsammlung interessant sein könnte. Hierbei hat mir meine eigene Rechercheerfahrung aus dem Studium sehr geholfen. Aus den großen Tüten wurden zwei Archivkartons mit geordnetem Material und ein paar Kassetten, welche nun auf ein nächstes Digitalisierungsprojekt warten. Die Vielfalt der Arbeit des Frauenzentrums und die materielle Vielfalt des Bestandes machten diese Arbeit spannend für mich. So musste ich zum Beispiel auch mit Buttons, Kalendern und VHS-Tapes umgehen.

Ebendiesen Prozess bin ich auch ein zweites Mal durchgangen, bei der Bearbeitung der Sammlung Fridburg Thiele, Psychotherapeutin und Aktivistin bei der Gruppe Frauen für den Frieden, und ihrer Freundin Sieglinde Duscheleit, Pädagogin und ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der evangelischen Kirche. Dieser Bestand war noch einmal ganz anders aufgebaut und beinhaltete eine große Bandbreite an Themen und Materialien. Um nur einige Beispiele zu nennen: Zeitungsartikel zur Debatte um den Artikel 218 und 219a des Strafgesetzbuches, Infobroschüren zu den Atombombenabwürfen auf Japan, Briefe an Berliner Politiker*innen zum Thema Obdachlosigkeit. Sehr interessant waren die persönlichen Berichte aus der Kindheit und Jugend während des Zweiten Weltkrieges und der Neuankunft als Flüchtlinge aus dem ehemaligen Preußen in der deutschen Nachkriegszeit. Für beide Frauen waren diese Erfahrungen eine Motivation für die spätere Arbeit als Aktivistinnen für Frieden, gegen Atomkraft und für die Rechte Homosexueller und queerer Menschen. An meinem letzten Tag konnte ich die von mir neu befüllten Archivkisten mit ihren Signaturen kennzeichnen und ins Magazin bringen, wo sie nun endgültig bearbeitet liegen und zur Nutzung bereitstehen. Dies war ein sehr befriedigendes Erlebnis, Teil einer alternativen Erinnerungskultur zu sein und aktiv dazu beigetragen zu haben, dass diese feministischen Perspektiven idealerweise für die Ewigkeit aufgehoben werden.

Ein weiterer Teil meiner Arbeit bestand darin, die große und sich jährlich erweiternde Sammlung an Flyern zu sortieren und in die jeweils passenden Archivkisten zu legen. Hierbei musste ich intensiv mit der Datenbank arbeiten und mir zu jedem Flyer folgende Fragen stellen: Welche Organisation gibt den Flyer heraus und haben wir von dieser Gruppe bereits etwas im Bestand? Wenn nicht, aus welchem Land stammt der Flyer und wo befindet sich die Kiste mit den Materialien? Was ist der thematische Schwerpunkt dieses Flyers und in welcher Kiste macht es Sinn, diesen beizulegen? Schließlich musste ich den jeweiligen Datensatz aktualisieren und die Flyer physisch zuordnen. Bei dieser Arbeit konnte ich die sehr körperliche Tätigkeit eines/r Archivar*in erleben.

Auch habe ich mit Dagmar die Liste mit Neuzugängen an Plakaten angefangen, für welche jedes Plakat abfotografiert und mit einer Signatur versehen werden musste. Die nach Größe geordneten Plakate warten nun auf eine professionelle Digitalisierung, bevor sie in einem weiteren Schritt in die Datenbank aufgenommen werden können. Diese minutiöse Arbeit hat mich erkennen lassen, wie viel Zeit und Energie von Menschen gebraucht wird, lange bevor eine Ausstellung eine Reihe an Plakaten verwenden kann, wo sie dann von Besuchenden gesehen werden. Das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum hatte während meines Praktikums eine Vernissage mit vielen Materialien aus dem FFBIZ und als ich dort als Repräsentantin war, ist mir erstmals aufgefallen, welch wichtige Kooperation zwischen Museen und Archiven besteht.

Auch an der vom FFBIZ organisierten Lesung aus dem Buch „Die Sportlerin“ mit der Autorin Ulrike Gramann und der Protagonistin und Zeitzeugin Claudia Fingerhuth habe ich teilgenommen. Weitere Termine außerhalb des Büros waren Vernetzungstreffen mit anderen feministischen Archiven, das Organisationstreffen für den alljährlichen Workshop „Archive von unten“, ein Netzwerktreffen von Berliner Frauengruppen und die regelmäßigen Treffen für die Erstellung einer neuen Website des FFBIZ. Bei diesen war meine Perspektive von außen hilfreich und für eine neue Rubrik konnte ich direkt drei kleine Texte über meine Arbeit im Archiv schreiben. Außerdem war es spannend zu merken, welche Schritte geschehen, bevor online eine Veränderung sichtbar wird und wie schwierig es ist, ein politisches Selbstverständnis zu verfassen. Denn das FFBIZ möchte die jungen Nutzer*innen ansprechen und zum Besuch ermutigen, aber auch ältere Menschen versichern, dass ihre Materialien in den klimatisierten Räumen des Magazins gut aufgehoben sind und mit größter Vorsicht und Respekt behandelt werden. Schließlich war ich auch bei einem Projekttreffen mit Künstlerinnen dabei, welche mit dem FFBIZ eine Finanzierung zur Digitalisierung wertvoller Materialien erhalten haben.

Alles in allem hat mir die Arbeit beim FFBIZ sehr gut gefallen. Ich habe all die Arbeit kennengelernt, die stattfinden muss, bevor ich als Nutzerin vor den Dokumenten sitze, die ich analysieren und aus denen ich lernen will. Von dem Treffen mit eventuellen Materialspender*innen, über die Annahme von diesen und deren Bearbeitung, bis hin zur finalen Eingabe in die Datenbank und physischen Einordnung in die Regalreihen des Magazins, habe ich alle Schritte einer Archivierung miterleben dürfen. Mir ist erneut bewusst geworden, wie vielfältig Material sein kann, aber auch wie vielfältig die Arbeit mit diesem sein kann: neben der wissenschaftlichen Forschung die spielerische, künstlerische Auseinandersetzung mit dem Material, sowie die bildungspolitische Arbeit. Ich war dabei, als entschieden wurde, welche Materialien ins Archiv aufgenommen werden und welche abgelehnt und habe somit genau das erlebt, was ich mir erhofft hatte: Die verschiedenen Etappen und Prozesse der Archivarbeit kennenlernen. Und natürlich ist mir bewusst, dass ich nur zwei Monate da war und auch, wie anders meine Erfahrungen in einem anderen Archiv hätten sein können. Mich interessiert die politische Dimension hinter der Frage, wer überhaupt was archiviert, immer noch stark und dennoch merke ich, dass ich meine berufliche Karriere nicht im Archiv sehe. Trotzdem bin ich sehr zufrieden mit der Entscheidung, mich eine Zeit lang in den Alltag der Archivarbeit vertieft zu haben. Meine Recherchefähigkeiten wurden erweitert und auch meine feministische Einstellung hat sich präzisiert, in dem ich die Vielschichtigkeit von Feminismen und deren Geschichte ein wenig genauer unter die Lupe nehmen konnte.